Mittwoch, 5. August 2015
Der ganz normale Wahnsinn
Es ist 5:30 Uhr morgens. Mein Wecker klingelt. Ich stehe auf und leuchte mir meinen Weg nach oben in den 2. Stock, da ich keinen wecken möchte. Die erste Überwindung des Tages: das Anstellen der kalten Dusche. Aber so langsam hab ich es raus. Danach mache ich mich fertig, fülle mir meine 2 ½ – Liter – Flasche mit abgekochten Wasser (das Leitungswasser ist nicht trinkbar) und bereite mir mein Brötchen mit Käse (, wenn was zu essen im Haus ist.. andernfalls reiße ich meine Notration Kekse an, die ich extra dafür in meinem Koffer horte). Dann mache ich mich an den Abwasch, für den ich am vorigen Abend zu faul war. Langsam wird es hell draußen. Ich genieße die Ruhe, die man hier in Chiclayo wirklich nur in aller Frühe zu spüren bekommt und die nur durch einige Rufe der Obst-, (Batterien-,) oder Zeitungsverkäufer, die mit ihren Lautsprechern durch die Straßen ziehen, unterbrochen wird.
Kurz bevor ich um 6:40 Uhr aus dem Haus gehe, steht meine Gastmama plötzlich vor mir. „Toma desayuno!“ (= Frühstücke!), ist das erste, was ich zu hören kriege. - „Ja, ich habe mir was eingepackt.“ - „Tienes que enseñar hoy día?“ (= Musst du heute unterrichten?) .. ähh sonst wäre ich doch niemals so früh aufgestanden?! - „Ja, so wie jeden Freitag, Mamá.“

Ich mache mich also auf den kurzen Weg einmal um's Hauseck, auf dem mir dreimal hinterher gepfiffen und mindestens ein Luftkuss zugeworfen wird, bis ich an die Straße komme, wo die Combis die Leute aufsammeln. Ich muss nur kurz warten, dann kommt auch schon einer angebraust. „Banco, Modelo, Banco!“ (die Ziele diese Combis), ruft der Cobrador halb heraushängend aus dem Fenster des Kleinbusses (Er ist außerdem noch zuständig für das Öffnen und Schließen der Schiebetüren, sowie das Einsammeln des Fahrtgeldes). Ich winke ihn heran mit gestrecktem Arm, der Handfläche nach unten und bewege meine Hand auf und ab (Bei uns würde das „Geh weg“ bedeuten.). Beim Einsteigen muss ich mich beeilen, denn der Combi-Fahrer setzt schon wieder zum beschleunigen an. So falle ich eher unsanft auf die Mini-Sitzbank und trete gleichzeitig noch drei anderen Menschen auf die Füße. Das ist der erste Moment heute, an dem ich grinsen muss. Der zweite, als ich merke, dass mich alle total verwirrt ansehen und sich fragen: Warum grinst die Gringa (nett gemeinter Ausdruck für blonde Ausländer) denn so?! Und der dritte, wenn ich die in Lateinamerika typische Musik Reggaeton höre, die laut aufgedreht, um nicht einmal 7 Uhr morgens, durch den Bus schallt.

Auf der 10-minütigen-Fahrt wird der Bus bis in's letzte Eckchen gefüllt (Die Leute, die nicht gut auf Körperkontakt zu sprechen sind, müssen sich wohl ein anderes Fortbewegungsmittel suchen.). Auf halben Weg springt der Cobrador aus dem fahrenden Combi, sprintet auf eine Art Briefkasten zu und stempelt dort eine Karte ab. Ich habe erst letztens herausgefunden, wofür sie sich so beeilen (Eigentlich ist das ganz untypisch für die Peruaner): Die Combis müssen einen bestimmten Fahrplan einhalten, sodass nicht direkt hintereinander zwei Busse in die gleiche Richtung fahren. Oft kommt es aber vor, dass sie Zeit aufholen müssen, was durch Slalom-Fahren um die anderen Autos herum, lautes Hupen und dem mal-eben-drei-Spuren-aus-einer-machen dann auch meistens hinbekommen wird.

Und dann sind wir auch schon an der Stelle angekommen, an der ich aussteigen muss. „Bajo!“ (= Ich steige aus!), rufe ich kurz vorher. „Baja, baja!“ (= Es steigt jemand aus!), gibt der Cobrador an den Fahrer weiter. Sobald der Kleinbus zum Stehen gekommen ist, bahne mir wieder meinen Weg durch die gedrängt sitzenden Menschen nach draußen und haue mir den Kopf an der viel zu niedrigen Tür an. Man sollte meinen, dass ich langsam daran denke mich zu ducken, aber nein, das dauert wohl noch ein Weilchen.

Auf dem nun folgenden 2 – minütigen Fußweg versuche ich nicht überfahren zu werden, wenn ich die Straße überquere (Hier heißt nämlich Zebrastreifen nicht Zebrastreifen, sollte man wissen), und kriege mindestens eine Staubdusche ab. Wie jeden Morgen grüße ich freundlich den Straßenfeger, der dort wie jeden Tag wieder steht und den vielen Müll am Straßenrand aufsammelt (Wie deprimierend das sein muss!).
Dann klopfe ich an dem großen Tor meiner Schule und warte, bis mir der Pförtner aufmacht. Statt einem „Buenos dias.“ (= Guten Morgen), sage ich: „Luz y verdad.“ (= Licht und Wahrheit). So begrüßt man sich dort. Dies gehört zu der Vision und Mission, die in jedem Klassenzimmer abgedruckt auf einem großem Plakat beschrieben stehen.
Als ich in Schulhof trete, fällt mein Blick zuerst auf die sauber in Reihen aufgestellten Schülerinnen. Freitag und Montag wird Gottesdienst gefeiert vor dem Unterricht. Dafür werden meistens ½ – 1 h gebraucht. Ich warte geduldig, bis sie geendet haben und die erste Schülergruppe zu mir in mein Klassenzimmer kommt.
Um 9:45 Uhr ist Pause. Also begebe ich mich (so wie der gefühlte Rest der Schule) auf den Weg zu den Toiletten, von denen mir schon ein eher unangenehmer Geruch entgegenkommt. Ah, mal wieder kein Wasser. Gut, auf's Klo muss ich trotzdem (So wie alle anderen auch). Also packe ich mein eigenes Klopapier aus (, da es dort und in allen öffentlichen Plätzen keines gibt) und erinnere mich daran, das Papier in den Mülleimer zu werfen, da die Abflussrohre nicht dafür ausgelegt sind und ich eine vollkommene Verstopfung gerne vermeiden würde.
Auf dem Weg zurück zu dem Klassenzimmer, in dem ich unterrichte, werde ich von den Schülerinnen, die mir begegnen, mit einem stolzen: „Hello!“ begrüßt. Ganz nach dem Motto: Juhu, ich weiß etwas auf Englisch!
Um 12 Uhr ist Schulschluss, was durch ein Gebet, das durch die Lautsprecher dröhnt, zur Kenntnis gebracht wird. Wir stehen auf und beten mit. Danach packen alle hastig ihre Sachen und strömen aus dem Tor auf die Straße, was jeden Tag wieder einen Stau nach sich zieht, da die Fahrzeuge zwischen all den Schulbussen und Menschen, die dort herumstehen, nicht mehr durchkommen.

Die Heimfahrt gleicht eher einer Irrfahrt. So geht es (wie jeden Tag) auf einer mir unbekannten Strecke über oft nicht geteerte Straßen in Richtung zuhause, da einer sehr großen Baustelle ausgewichen werden muss, bis ein Weg gefunden wird, der nicht komplett aufgerissen ist. Zwischendrin werden wir immer wieder durch Bodenwellen erfreut, die eigentlich gedacht sind, um die Geschwindigkeit zu begrenzen, aber nicht ganz ihren Zweck erfüllen. Zwischen ihnen wird beschleunigt, kurz vor der nächsten stark abgebremst, und sobald die Vorderreifen darüber sind, auch schon wieder Gas gegeben (, was die letzte Sitzreihe stark zu spüren bekommt). Ich liebe diese Combi-Fahrten. Wirklich.

Endlich zuhause angekommen, möchte ich die Haustür aufschließen. Ich drehe und drehe und drehe, bis mir irgendwann auffällt, dass die Türschlösser hier ja andersherum funktionieren.
Drinnen führt mich mein erster Weg in die Küche, um mir etwas zu Essen zu machen. Jane und meine anderen Gastgeschwister sitzen derweil im Wohnzimmer herum. Der eine spielt Computer, die andere unterhält sich lautstark auf Thailändisch mit ihrer Familie über Skype und Melli sieht fern. Gemeinsam haben sie beschlossen heute nicht in die Schule zu gehen (so wie die die letzten zwei Tage auch).

Nachmittags lese ich ein bisschen, überlege mir, was ich nächste Woche mit meinen Schülerinnen machen möchte, und wasche meine Wäsche. Irgendwann beschließen Cinthya und ich zu Real Plaza zu fahren, eine rArt Shoppingzentrum, da wir das „Daheimrumgehocke“ leid sind.
Das Collectivo, in das wir einsteigen, hat einen Sprung in der Windschutzscheibe, ihm fehlt ein Seitenspiegel und es sieht überhaupt so aus, als würde es gleich auseinander brechen.
Während der Fahrt wandert mein Blick ständig zu der Tankanzeige: Der Zeiger steht fast auf null. (Hier fährt man wohl gerne 10 Mal am Tag zur Tankstelle, um für 10 Soles (= 3 Euro) zu tanken.) Hoffentlich schaffen wir es noch bis dahin, wo wir aussteigen müssen. Ich habe eher wenig Lust das Auto zur nächsten Tankstelle zu schieben, wie ich es schon oft gesehen habe. Aber auch dieses mal haben wir Glück.

In Real Plaza treffen wir uns mit ein paar Leuten meiner Organisation AFS. Wir ratschen, trinken einen Cocktail und dann geht’s auch schon wieder nach Hause; zu siebt in einem Taxi, das eigentlich nur Platz für vier Leute vorsieht. Ein bisschen stapeln und stopfen, dann geht das schon, denn angeschnallt sein müssen nur diejenigen, die vorne sitzen.
An der roten Ampel bleiben wir eher auf der Kreuzung stehen, als davor. Als sie auf grün schaltet, fahren wir los. Das Problem ist nur, dass die Autos, die aus der Querstraße kommen, die Kreuzung noch nicht verlassen haben. Das Ergebnis sind kreuz-und-quer stehende Verkehrsmittel, von denen sich so gut wie keiner mehr vor oder zurück bewegen kann. Doch da sehe ich eine Polizistin, die stark gestikulierend in ihren engen Reiterhosen mitten im Chaos steht und sich mit einer Trillerpfeife bemerkbar zu machen versucht. Nach einem Hupkonzert und drei „Beinahe-Unfällen“ sind wir auf der anderen Seite der Kreuzung angekommen. Wir überholen Motorräder, auf denen jeweils drei Personen sitzen, von denen nur einer einen Helm trägt, und die zwischen sich manchmal noch ein kleines Kind geklemmt haben, riesige LKWs, von denen man, wenn sie hupen, lieber weit weg ist, und alte VW Käfer, die hier massenweise durch die Gegend düsen.

Nach 20 Bodenwellen schließlich doch unversehrt zuhause angekommen, falle ich nach einem Abendessen müde in mein Bett. Doch gerade, als ich am einschlafen bin, beginnt es: Laute Partymusik aus dem Nachbarhaus (, die bis 6 Uhr früh anhalten wird), rhythmisch begleitet durch den den ohrenbetäubenden Lärm eines Bohrers aus dem Haus auf der anderen Seite. Wie schön!

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