Mittwoch, 8. Juli 2015
Interkulturelles Lernen
Auf den Vorbereitungsseminaren wurde uns immer wieder eingebläut: „Ihr macht diesen Freiwilligendienst nicht, um in dem jeweiligen Land viel zu helfen, geschweige denn, um irgendwas zu verändern. Ihr macht dieses freiwillige Jahr, um gegenseitig voneinander zu lernen; die Menschen dort von dir und du ihnen.“ Am Anfang dachte ich noch: Ach was, ich bin schließlich in einem sozialen Projekt; da muss ich ja irgendetwas helfen können. Aber diese Einstellung ändert sich immer mehr.

In meinen allerersten Stunden in meinem Projekt habe ich Spiele gespielt und Musik gemacht. Wir haben gemeinsam gesungen und uns ganz nebenbei kennengelernt. Nach ein paar Wochen fing ich an mit ein paar Gruppen Theater zu spielen, was das Selbstvertrauen fördert, aber gleichzeitig auch den Umgang mit Englisch in den verschiedensten Situationen auf die Probe stellt und klar macht, woran jeder einzelne noch arbeiten muss. Außerdem sprachen wir darüber, warum Englisch denn so wichtig ist. Dann kam die Zeit, in der ich versucht habe einigen meiner Schülerinnen einen Anstoß zu geben, das zu hinterfragen, was jeder für selbstverständlich hält. „Welches Ding, welche Person oder welcher Ort ist für dich am schönsten/ schlimmsten/ wichtigsten?“ sind solche Fragen. die ich ihnen stellte. Ich bekam zum Beispiel solche Antworten: „Für mich ist die Zeit das schlimmste auf der Welt. Sie vergeht so schnell, wenn etwas schön ist und so langsam, wenn etwas schlimmes passiert.“ und „Meine Familie ist für mich das allerwichtigste.“
Als Gegenzug wurde ich dann auch von einem Mädchen gefragt: „Glaubst du, dass die Menschen Gott erschaffen haben oder Gott die Menschen?“ Interessant! Überhaupt sprachen wir viel über Religionen und wie diese die Menschen bzw. Länder beeinflussen.
So unterhalte ich mich mit einigen über solche komplexe Themen, weil es ihr Englischlevel zulässt. Mit anderen kann man jedoch nur Spiele spielen und sie dazu bringen mehr Selbstvertrauen im Sprechen einer anderen Sprache zu bekommen. „Wenn ihr nicht sprecht, werdet ihr nie besser werden“, sage ich ihnen immer wieder. „Ihr werdet sehen es wird schnell besser werden.“
Inzwischen beginnen wir unsere Englischstunden immer mit dem Zusammentragen verschiedenster Neuigkeiten und Nachrichten der Welt. So ist jeder gezwungen ein paar englische Sätze zu sagen und wir lernen gleichzeitig eine Menge. Und es kann sich jeder Gedanken über ein Thema machen, das ihn wirklich interessiert.

Natürlich versuche ich so, die Englischkenntnisse meiner Schülerinnen zu verbessern.
Doch immer wieder sprechen mich Kinder aus der Schule an (auch Lehrer, Bekannte, Leute auf der Straße, Taxifahrer, peruanische Freunde und Familienmitglieder) und fragen, wo ich denn herkomme und wie Deutschland denn so sei. Jeder möchte etwas anderes wissen. „Was ist der schönste Platz/Ort in Deutschland?“, „Kommt man mit Spanisch weit in deinem Land?“ oder sogar „Was sprecht ihr denn in Deutschland für eine Sprache?“ Aber auch wo denn meine Familie gelebt habe, als Deutschland geteilt war, ob es in meinem Land viele Rassisten gäbe und was denn meine Meinung über Adolf Hitler sei.

Aber auch bei meiner Gastfamilie merke ich, wie interessiert sie sind, etwas Neues zu erfahren und zu lernen.
Mein Gastvater zum Beispiel sieht sich regelmäßig Dokumentationen im Fernsehen an, darunter auch einige über Deutschland. Danach kam er immer zu mir und fragte mich aus über den Schwarzwald oder die Teilung Deutschlands. Meine Gastmama dagegen liebt es mit mir über das Essen zu sprechen. „Was esst ihr denn so zum Frühstück?“ „Gibt es bei euch die und die Frucht?“ „Was? Ihr esst Nudeln oder Pizza zum Mittagessen?! Das ist ja komisch.“ Sie ist inzwischen ein echter Pfannkuchenfan geworden (, weswegen ich letztens 3 Stunden in der Küche stand, um für ihre Arbeitskollegen und unsere Familie gefühlte 50 „Crepes“ mit Füllung zu machen...)
Meine kleine 11-jährige Schwester Melli dagegen fragte, ob wir denn warmes Wasser hätten. Als ich dann sagte, dass sogar unsere Waschmaschine damit läuft und wir mit warmen Wasser abspülen, entgegnete sie ganz erstaunt: „Wieso denn das?“ Oder vor ein paar Tagen wollte sie wissen, ob es denn in Deutschland auch Plastiktüten gäbe. Für meinen peruanischen „Cousin“ habe ich letztens einen Fotoabend eingelegt. Wir haben uns auch Deutschland und Europa auf der Karte angeschaut usw.. Mit meiner thailändischen Gastschwester Jane unterhalte ich mich viel über die kulturellen Unterschiede unserer beiden Länder, was auch sehr interessant ist. Wobei wir gemerkt haben, dass wir eindeutig der selben Meinung sind, was die Behandlung von Haustieren und den Verzehr von Gemüse betrifft...
Obwohl das wirklich inzwischen besser wird! Meine Familie kauft wegen mir als Vegetarier mehr Gemüse ein. Meine Gastschwester Cinthya isst plötzlich Tomaten, was sie früher gemeint hat nicht zu mögen, („Aber nur auf einer Semmel mit Butter, Käse, Zwiebel und Salz!“, würde sie jetzt sagen... ) und wir gehen manchmal sogar mit dem Hund spazieren!
Es kann sich jeder seine eigene Meinung darüber bilden, ob diese Veränderungen gut oder schlecht sind, aber man merkt einen eindeutigen Einfluss anderer Kulturen auf die Familie.

Ich kann den Menschen um mich herum eine andere Welt aufzeigen, indem ich ihnen Fotos von Deutschland zeige und ein bisschen über das Leben, die Gewohnheiten und Bräuchte dort erzähle. Sie lernen eine andere Kultur kennen und erfahren mehr über meine Einstellung zu den unterschiedlichsten Themen, worüber sie vorher vielleicht ganz anders dachten. Im Gegenzug frage ich viel über Peru und so lernen wir gegenseitig eine Menge voneinander.

Genau das ist es, worauf ich letztendlich heraus will: Unsere Teamer aus den Vorbereitungsseminaren hatten Recht. Das Interesse, das mir hier entgegengebracht wird, zeigt eindeutig, dass die Leute von mir lernen wollen. Sie wollen mit Neuem konfrontiert werden.
Ich bin also hier, um das interkulturelle Lernen zu fördern. Außer etwas über die jeweilige Kultur zu erfahren und deren Sprache zu erlernen, bedeutet das viel mehr für mich. Zum Beispiel ein Verständnis für andere Meinungen, Bräuche und Traditionen zu entwickeln und zu lernen diese zu akzeptieren, Anpassung, aber auch Weitergeben von Erfahrungen und neuem Erlernten.
Und dies mache ich genau in diesem Moment mit euch.



Das Anderssein der anderen
als Bereicherung des eigenen Seins begreifen;
sich verstehen,
sich verständigen,
miteinander vertraut werden,
darin liegt die Zukunft der Menschheit.
- Rolf Niemann

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